Heinrich Cotta
Anweisung zum Waldbau
Vorrede zur ersten Auflage Dresden 1816
Wenn die Menschen Deutschland verließen, so würde dieses nach 100 Jahren ganz mit Holz bewachsen sein. Da nun letzteres niemand benutzte, so würde es die Erde düngen, und die Wälder würden nicht bloß größer, sondern auch fruchtbarer werden.
Kehrten aber nachher die Menschen wieder zurück, und machten sie wieder so große Anforderungen an Holz, Waldstreu und Viehweide, wie gegenwärtig, so würden die Wälder bei der besten Forstwirtschaft abermals nicht bloß kleiner, sondern auch unfruchtbarer werden.
Die Wälder bilden sich und bestehen also da am besten, wo es gar keine Menschen - und folglich auch gar keine Forstwirtschaft gibt; und diejenigen haben demnach vollkommen recht, welche sagen: „Sonst hatten wir keine Forstwissenschaft, und Holz genug; jetzt haben wir die Wissenschaft, aber kein Holz.“
Man kann aber auch mit Recht sagen: “die Menschen sind gesunder, die keinen Arzt brauchen, als die, welche es Thun,“ ohne das daraus folgte: die Ärzte wären Schuld an den Krankheiten. Es würde keine Ärzte geben, wenn es keine Krankheiten gäbe, und keine Forstwissenschaft ohne Holzmangel. Diese Wissenschaft ist nur ein Kind des Mangels, und dieser ist folglich ihr gewöhnlicher Begleiter. Die obige Redensart: „sonst hatten wir keine Forstwissenschaft u., bekommt also einen vernünftigen Sinn, wenn man sagt: wir haben jetzt eine Forstwissenschaft, weil es uns am Holze fehlt.
Die Forstwissenschaft enthält aber keine Zaubermittel, und kann nichts gegen den Lauf der Natur thun. Der berühmte Werden sagte: „Der gute Arzt läßt die Menschen sterben, der Schlechte bringt sie um.“ Mit gleichem Rechte kann man sagen: der gute Forstwirt läßt die vollkommensten Wälder geringer werden, der Schlechte verdirbt sie.
Wie nämlich der gute Arzt nicht verhindern kann, dass Menschen sterben, weil dies der Lauf der Natur ist, so kann auch der beste Forstwirt nicht verhindern, dass die noch aus der Vorzeit abstammenden Wälder jetzt, wo sie benutzt, geringer werden, als sonst, wo man sie nicht benutzte.
Deutschland erhielt vormals ungeheuer große, vollkommene und sehr fruchtbare Wälder. Aus großen sind aber kleine, aus fruchtbaren unfruchtbare Waldungen geworden. Jede Menschengeneration sah eine geringere Holzgeneration erscheinen. Hier und da staunen wir noch riesenhafte Eichen und Tannen an, die ohne alle Pflege erwachsen sind, während wir uns überzeugt fühlen, dass von uns an jenen Stellen durch seine Kunst und Pflege ähnliche Bäume erzogen werden können. Die Enkel jener Riesenbäume kündigen schon den in sich tragenden Tod an, bevor sie noch den 4ten Teil der Holzmasse erlangt haben, den die alten enthalten, und keine Kunst und Wissenschaft vermag auf dem unfruchtbar gewordenen Waldboden jetzt solche Wälder zu erziehen, wie sie da und dort noch weggeschlagen werden.
Ohne alle Benutzung wird der Waldboden immer besser; bei ordnungsmäßiger bleibt er in einem natürlichen Gleichgewicht; bei einer fehlerhaften wird er schlechter. Der gute Forstwirt nimmt den höchsten Ertrag aus dem Wald, ohne den Boden zu verderben; der schlechte verdirbt diesen, während er vielleicht nur die Hälfte des wahren Ertrags bezieht.
Es ist kaum glaublich, wie viel man durch die Art des Betriebes nützen oder schaden kann, und die wahre Forstwissenschaft enthält daher sehr viel mehr, als die wähnen, welche nur das Gemeine derselben kennen.
Vor 30 Jahren bildete ich mir ein, die Forstwissenschaft gut zu verstehen.
Ich war ja bei ihr aufgewachsen und hatte sie auch auf Universitäten gehört.
Es hat mir seitdem nicht an Gelegenheit gefehlt, meine Ansichten vielseitig zu erweitern, und in dem langen Zeitraum habe ich es nun dahin gebracht, recht klar einzusehen, daß ich von dem Innern dieser Wissenschaft noch wenig weiß, und daß wir überhaupt mit dieser Wissenschaft noch lange nicht auf dem Punkte sind, über welchen manche schon längst hinaus zu sein glauben. —
Viele mögen wohl in dem Falle fern, in welchem ich vor 30 Jahren war; möchten sie nur eben so von der Einbildung zurückkommen! Die Forstwissenschaft gründet sich auf Kenntnis der Natur; je tiefer wir aber in diese eindringen, je größere Tiefen sehen wir vor uns.
Das, was der Schein eines Oellämpchens erhellt, ist bald übersehen. Viel mehr Dinge erblicken wir bei Falstelschein, aber unendlich mehr bei Sonnenlichte. — Je heller es um uns wird, je mehr unbekannte Gegenstände zeigen sich, und es ist ein sicheres Merkmal der Seichtheit, wenn jemand alles zu wissen glaubt. —
Unsere Forstleute teilen sich gewöhnlich noch in:
- Empiriker und
- Gelehrte
- Selten ist beides vereinigt .
Was der erste im Forsthaushalte für zureichend hält, ist bald erlernt, und die forstematischen Lehrsätze des anderen sind dem Gedächtnisse bald eingeprägt. Bei der Ausübung verhält sich aber die Kunst des ersten zur gründlichen Forstwissenschaft, wie die Quacksalberei zur wahren Heilkunde, und der andere erkennt den Wald oft vor Bäumen nicht. — Die Dinge sehen im Wald anders aus, als in den Büchern; der Gelehrte Mann steht daher oft dort — verlassen von seiner Gelehrsamkeit und zugleich entblößt von der kühnen Entschließung des Empirikers.
Drei Ursachen sind es vorzüglich, warum man noch so weit im Forstwesen zurück ist:
1. der große Zeitraum, den das Holz zu seiner Ausbildung braucht;
2. die große Verschiedenheit der Standorte, worauf es erwächst, und
3. der Umstand, daß gewöhnlich der Forstmann, welcher viel ausübt, nur wenig schreibt ,
der Vielschreiber hingegen nur wenig ausübt .
Die erste Ursache hat zur Folge, daß man oft etwas für gut hält und dafür ausgibt, was nur eine zeitlang gut ist, späterhin aber im Forsthaushalte schädlich wird.
Die zweite Ursache ist schuld, daß viele etwas für gut oder schlecht erklären, was nur an bestimmten Orten gut oder schlecht ist.
Die dritte Ursache macht, daß die besten Erfahrungen mit den Männern absterben, die sie gemacht haben, und daß dagegen viele ganz einseitigen Erfahrungen von den bloß schreibenden Forstmännern so vielmal nachgeschrieben werden, bis sie am Ende als Glaubensartikel dastehen, denen niemand zu widersprechen wagt, sie mögen noch so einseitig oder irrig fern.
Die Lehre vom Waldbau, die hier vorgetragen wird, hat nur einen geringen Rang in der Forstwissenschaft; ihrer Wichtigkeit nach gebührte ihr aber die erste Stelle, und sie verdient daher vorzüglich ausgebildet zu werden. Die in dieser Schrift aufgestellten Regeln sind aus der Erfahrung abgeleitet, wie die daneben gestellten Ausnahmen.
Da niemand mehr als ich von dem Dünkel entfernt sein kann,
die eigenen Ansichten für die einzig wahren zu halten,
so nehme ich sehr gern jede Belehrung an.
Tharandt, den 21. Dezember 1816
Möge dieser vollständige Auszug des Vorwortes „Anweisung zum Waldbau“ von Heinrich Cotta wertvolle Anregungen im Bemühen um eine enkelkindertaugliche Zukunft für jeden Interessierten öffnen.
Heinrich Cotta ist mir nunmehr über 30 Jahren ein wertvoller Impulsgeber, dem ich zu dankbarer Verbundenheit verpflichtet bin. Gleiches gilt für die mich besonders im Waldbau prägenden Lehrmeister und menschlichen Vorbilder Harald Thomasius (Tharandt/Dresden), Gerhart Grimm (Schwarzburg) und Siegfried Haake (Wernigerode).
Frank Deisting (2021)